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Schutz für das Wohnzimmer der Zwischenmenschlichkeit

Florian Korbella über das Recht auf Privatsphäre

Privatsphäre ist ein Relikt aus dem vergangenen Jahrtausend. Zu diesem Eindruck kommen heute immer mehr Menschen. Mark Zuckerberg dürfte wohl einer der Wenigen sein, die dieser Einschätzung mit einem Lächeln begegnen. Das einst große Reich der Privatsphäre fällt unweigerlich dem Raubzug der Moderne zum Opfer und befindet sich heute in einer Situation, in der es ohne den Status der Schutzbedürftigkeit zweifelsohne der Bedeutungslosigkeit entgegen schreiten würde. Zu seinen Verteidigern gehören die Datenschutzbeauftragten der Stadt Hamburg. Ihre Niederlassung befindet sich am Klosterwall, nur wenige Straßenecken von der Facebook-Zentrale am Großen Burstah entfernt. Die Straßennamen scheinen dem Betrachter den Konflikt zwischen Hell und Dunkel suggerieren zu wollen, ein Kampf zwischen David und Goliath.  Im Gebäude der Datenschützer sitzt Moritz Karg und startet den Versuch einer Situationsbeschreibung. 

Der Datenschutz ist in zweierlei Hinsicht von grundlegender Bedeutung. Auf der einen Seite soll das Individuum vor dem Erlebnis bewahrt werden, persönlichen Informationen beim Entrinnen ohnmächtig zusehen zu müssen. Auf der anderen Seite soll eine stabile demokratische Gemeinschaft gewährleistet werden. Die Gesellschaft übernimmt die Verantwortung für den Schutz ihrer inneren Informationskanäle, um eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen. Den gesetzlichen Rahmen bildet im Allgemeinen der  Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, welche den Schutz der Privatsphäre konkret benennt und somit in den Schoß der nationalen Aufgaben legt.

Wie aber etwas Kostbares schützen, ohne es einzusperren? Wie viel Gesetz ist nötig und - vielleicht noch schwerer - was ist möglich? Der Schlund des Internets verschluckt gierig jede Information und gibt sie höchstwahrscheinlich nie wieder her. Das Gedächtnis des globalen Netzwerkes merkt sich bedrückend unwiderruflich jede noch so kleine Kleinigkeit. Dennoch möchten die meisten nicht auf  die Segnungen der modernen Kommunikation verzichten. Nur einen Mausklick ist die Mutter im sibirischen Krasnojarsk entfernt, während der eigene Laptop auf einem Segelschiff im Hamburger Hafen auf und ab schaukelt. Die Lösung wagt kaum jemand zu formulieren: Ein zu schwacher gesetzlicher Rahmen fördert den Missbrauch und verstärkt die Wehrlosigkeit des Bürgers. Eine zu enge Gesetzgebung erstickt Austausch und Wirtschaft. Immerhin sind Datensätze die Goldbarren der Zukunft. So wird die Geistesgegenwart des Verbrauchers elementarer denn je, denn die Möglichkeiten der Regierungen bleiben beschränkt. Die jungen Menschen der gegenwärtigen Generation sind die Crashtest-Dummies der Zukunft und jede morgige Entscheidung wird sich nur aus den Erfahrungen der Verfehlungen von heute ernähren können.

Moritz Karg wollte seine Fähigkeiten seit seiner Geburt in den Dienst der Menschenrechte stellen. Heute ist er Beauftragter für Datenschutz. Das Menschenrecht auf Privatsphäre ist offensichtlich in den Herzen der Menschen angekommen und trägt dem Bedürfnis nach einem sicheren Rückzugsort Rechnung. Die realen und digitalen Räume der Öffentlichkeit sind die Wohnzimmer der Zwischenmenschlichkeit und stellen somit die Empfindsamkeit der Menschen auf eine harte Probe. Denn im Gegensatz zu der eigenen Wohnung verfügen diese Zimmer nicht über Schloss und Riegel.

Die Privatsphäre ein Relikt aus dem vergangenen Jahrtausend? Für den Erhalt der Demokratie ist das Recht auf Privatsphäre unerlässlich und es hat den Gipfel seiner Bedeutung noch längst nicht erklommen. Der Aufstieg ist ohne den Kampf für die Sache nicht möglich, denn wie jedes andere Menschenrecht muss auch das Recht auf Privatsphäre vor Hindernissen und Abgründen beschützt werden. Nur mit dem Steigeisen der öffentlichen Stimmen werden die Menschenrechte auch jeden noch so steilen Hang überwinden, am Gipfel ankommen und alle menschlichen Konflikte bis über die Wolkendecke überragen.